Ich gehe davon aus, dass Du schon einen Eindruck von mir hast, wenn Du auf diesen Artikel triffst. Dann weißt Du auch schon, dass ich selbst nicht nur Entwicklungsnerd für mich selbst bin, sondern neben der Entwicklungsbegleitung auch andere Menschen in Coaching, Therapie und Entwicklungsbegleitung qualifiziere. Mein Verständnis von Entwicklungsbegleitung bei Individuen hat als übergeordneten Meta-Rahmen die integrale Theorie und die Theory of Process. Die Bodenhaftung und Praxis stammt aus meinen vielen Aus- und Weiterbildungen in den Feldern Coaching, Therapie, Aufstellungsarbeit, Kollektive Arbeit, Meditation, Körperarbeit und ist natürlich angereichert von meinen Qualifikationen in der Organisationsentwicklung.
Die Metamodelle geben einen sehr abstrakten Rahmen, der für meine Orientierung extrem hilfreich ist, sind aber an einigen Stellen eben doch zu abstrakt und nicht konkret genug. All die Konzepte aus meinen Weiterbildungen sind so differenziert und spezifisch, dass es eine mittlere Ebene braucht, wie bestimmte Aspekte und Modalitäten zusammenpassen. Und da ich ja ein besonderes Interesse daran habe, Konzepte übereinander zu legen und Orientierung zu finden, habe ich als Teil meiner eigenen Professionalisierung auch mein eigenes Framework entwickelt. Das ist auch eine Basis für die Qualifizierung von Entwicklungsbegleitern, denn viele meiner Teilnehmer sind selbst schon erfahrene Begleiter und wir brauchen einen Sprachraum, um uns abzugleichen.
Übrigens, wenn Du aus einer integralen oder einer Theory-of-Process-informierten Perspektive mit mir ein bißchen Landkartenabgleich und "Conceptual Jazz" spielen magst, meld Dich gerne per Mail bei mir.
So, genug der Vorrede...
Irgendwie ist Entwicklung so komplex, dass sie eigentlich nur lebendig erlebbar ist. Und dennoch lohnt es sich, verschiedene Perspektiven zu benennen, jede dieser Dimensionen differenziert betrachten zu können und dabei immer den Gesamtzusammenhang dieser Perspektiven ebenfalls im Gewahrsein zu halten. Wie immer gilt, "im Prinzip ist jedes Modell falsch, aber einige sind hilfreich".
Mein Framework ist für verschiedene Zwecke dienlich:
Schau Dir einmal die folgende Grafik an. Die verschachtelten Kreise, die Anordnung, die Überlappungen und auch die Begrifflichkeiten. Und achte darauf, dass Du das Bild sowohl einmal als gesamte Form, sozusagen als eine "Gestalt" siehst und zum Anderen einmal jeden Kreis hervortreten lässt, als eine eigenständige "Gestalt". Je nach Deinen eigenen Präferenzen wird Dir das eine leichter als das andere fallen oder Du hast eine Vorliebe, womit Du beginnst. Oder Du folgst einfach der Reihenfolge, die ich im Text vorschlage.
Und vielleicht hast Du gar nicht bis hierher gelesen, sondern direkt die Grafik angeschaut. ;-)
Schau jetzt einmal die Grafik als Gesamtbild. Im Gesamtbild gibt es ein Zentrum, der gelbe Kreis mit dem Begriff Achtsames Gewahrsein. Das ist der zentrale Punkt, der Dreh- und Angelpunkt von Entwicklung. Das was in diesem Moment dran ist und Du für Dich oder wir in einem gemeinsamen Prozess herausschälen. Dann gibt es entweder den Weg nach links, wo vertikales Wachsen stattfindet. Auf der Reise unseres Lebens müssen wir manchmal in der Zeit zurückreisen und etwas nachreifen lassen oder den nächsten Schritt in eine weitere und umfassender Perspektive machen, uns transformieren in etwas, was wir vorher nicht kannten. Die Ausgleich- und Stabilisierungsbewegung von vertikalem Wachstum ist auf der rechten Seite zu finden und ist das horizontale Wachstum, wo wir auf bestimmten Reiseabschnitten unseres Lebens durch Translation breiter werden und eine zunehmende Flexibilität aufbauen, wir also mehr hinzulernen, uns neuen Eindrücken aussetzen und Neues in uns entdecken. Diese ganze Entwicklung muss letztendlich in einer Verkörperlichung, einem Embodiment münden. Denn alle Veränderungen müssen letzten Endes in unserem Gehirn und Nerven im gesamten Körper ankommen, damit wir unsere Entwicklung wirklich in der Welt zeigen und damit eine Wirkung haben können. Die Integration oder auch direkte Arbeit mit dem Körper und die dazugehörige "Bodenhaftung" ist wichtig, um sich auch der Ebene oberhalb zuzuwenden, bzw. diese zu integrieren. Ich nenne sie Essenzialisierung, denn es geht darum, immer essentieller uns selbst zu leben und dabei immer mehr abzulegen, was nicht mehr dienlich ist. Manche sagen, das es dabei um eine spirituelle Entwicklung geht. Ich würde dem nicht widersprechen, ich finde nur den Begriff so missverständlich, dass ich ihn im Allgemeinen nicht verwende.
Diese ganzen Kreise greifen letzten Endes ineinander und kreisen und drehen sich um ein Zentrum. Idealerweise müsste diese Grafik ein dreidimensionaler Torus sein, denn jede dieser Entwicklungsdimensionen beeinflusst jede andere.
Ich hoffe, damit ist schon mal ein grobes Gerüst meines Frameworks klar geworden und jetzt gehe ich überblicksartig in die einzelnen Dimensionen.
Entwicklung ist nur in den Bereichen möglich, die ich in irgendeiner Form im Gewahrsein habe. Ob es sich dabei eher um ein Problemerleben handelt oder um Ziele, Wünsche und eine Sehnsucht, einen Ruf oder Konflikte, die mir begegnen. Es gibt irgendeinen Anlass, mich auf Entwicklung einzulassen, mich zu verändern und um solche Prozesse bewusst zu gestalten bedarf es erst einmal dem Gewahrsein über den Anlass. Und da kann man auch die Achtsamkeit steigern. Dabei sind natürlich bereits alle Muster, Erfahrungen und Kontexteinflüsse relevant.
In dem Achtsamen Gewahrsein taucht nicht nur das Anliegen und die Problem- oder Wunschbeschreibung auf, es ist auch eine eigene Entwicklungsdimension. Es geht um die Ausweitung meiner Sinne und dem Ausdehnen meines Gewahrseins, um mehr Informationen zur Verfügung zu haben. Natürlich geht es hier unter anderem um Wahrnehmungsübungen, Meditations- und Konzentrationsübungen und Kontemplationsübungen. Dabei geht es auch um ein wirkliches Ankommen im aktuellen Erleben als Grundlage. Das berühmt-berüchtigte "Hier-und-Jetzt", welches die einzige Zeit und der einzige Ort ist, an dem Handlung und Entscheidung möglich ist.
Der Art und Weise, wie wir uns auf die Welt beziehen, wie wir ihr Bedeutung geben, mit welcher Struktur wir Informationen wahrnehmen, verarbeiten, auswerten und dann handeln, liegt unsere Bewusstheit zu Grunde. Dies wird manchmal auch Ich- oder Selbstentwicklung genannt.
Hier gibt es verschiedene Reisen des Bewusstseins und ich verwende meistens STAGES als ein zentrales Modell in diesen beiden Entwicklungsdimensionen zur Orientierung, aber auch Keagans Subjekt-Objekt-Modell. In den konkreten Interventionen greife ich dann natürlich auf mein gesamtes Repertoire zurück.
Transformation bedeutet, die Entwicklung auf eine spätere Stufe der Bewusstseinsstrukur zu wachsen. Dabei ändert sich die Art und Weise, wie wir auf die Welt schauen. Wir werden uns immer mehr bewusst und des-identifizieren uns immer mehr. Ich bin mit immer weniger identifiziert und kann daher immer mehr reflektieren und beeinflussen. Erst mein Handeln, dann mein Denken und Fühlen, später wie ich zu Denken und Fühlen gekommen bin und noch später meine eigene Bedeutungsgebung.
Nachreifen meint, wenn wir Lernerfahrungen auf früheren Stufen nicht vollständig gemacht haben oder wir auf Grund der damaligen Lebensumstände die Lernerfahrungen eher in einer ungeheilten Form gemacht haben. Hier handelt es sich oft um ein Verlernen alter Denk-, Fühl- und Verhaltensmuster, der Re-Integration von abgespaltenem, dem Integrieren von nach außen projizierten Fähigkeiten und Wünschen sowie der Bearbeitung von Introjekten, also direkt von außen übernommenen Überzeugungen und ähnlichem mehr.
Je nachdem wie unser Leben verläuft und wie wir typologisch aufgestellt sind unterscheidet sich die Bandbreite der Möglichkeiten und Fähigkeiten, wie wir der Welt begegnen können. Hier geht es um das dazulernen neuer Fertigkeiten, die Auseinandersetzung mit ungewohnten und gänzlich anderen Arten der Bedeutungsgebung. Es geht hier also um die Erweiterung meiner Möglichkeitenräume im Umgang mit mir, mit Anderen und der Welt.
Flexibilisierung bedeutet vor Allem zu trainieren, engere Gewohnheitsmuster aufzuweichen, eine größere Bandbreite an inneren und äußeren Verhaltensweisen zur Verfügung zu haben. Dazu gehören auch Zustandserfahrungen und typologische Erweiterungen. Unter Anderem die Arbeit mit jungianischen Archetypen und das Erschliessen mir ungewohnter archetypischer Ausdrücke siedel ich hier an. Aber auch das -temporäre- Öffnen für andere kulturelle Einflüsse und Anpassungen.
Translation meint relativ klassisch die Ausbreitung auf einer bestimmten Entwicklungsstufe, also die Anwendung von Merkmalen und Kapazitäten bestimmter Stufen auf andere Lebensbereiche. Insbesondere angemessenes Training von Fertigkeiten und das Ausprägen von Kompetenzen sind hier Themen. Dabei kann sich Translation auch vermengen mit Nachreifen, wenn bestimmte Fähigkeiten früherer Stufen ausgeprägt werden, beispielsweise die Entwicklung von Sinnen oder Motorik.
Durch alles, was wir tun, scheint unsere wahre Essenz hindurch. Oftmals vertrauen wir dem aber nicht oder es ist durch Anpassungsreaktionen stark verdeckt. Je weiter wir auf dem Pfad der Entwicklung voranschreiten, umso natürlicher scheint unsere Essenz hindurch. Dieses Entwicklungsfeld kann man psychologisch, systematisch oder sogar spirituell deuten.
Was ist der Sinn und wie erlebe ich sinn-Fülle. Das ist aus meiner Sicht eine zutiefst individuelle und persönliche Frage.
Dieses Feld ist aus meiner Sicht ein mitlaufendes Ergebnis und weniger etwas, was wir versuchen müssen zu erreichen. In Kombination mit der Individualität ist es also unnötig, bis hin zu gefährlich, hier einen Inhalt zu setzen. Denn das ist die Basis und das Feld von Ideologisierung, die ich ja äußerst kritisch sehe.
Was wir nicht zutiefst verkörperlichen und somit wirklich in diese Welt im Alltag einbringen können, ist letzten Endes eben noch nicht ent-wickelt. Alles, was wir erkennen, wahrnehmen, erfahren sollte sich im echten Leben auch widerspiegeln.
Unsere Entwicklungspraxis muss dazu beitragen, dass wir uns im Leben besser zurecht finden, dass wir besser und erfüllender in unseren Beziehungen leben, dass wir erfolgreicher, gesünder und erfüllter unserer Arbeit und unseren Freizeitbeschäftigungen nachgehen.
Auch unser Körper hat ein Gedächtnis und sowohl Muskeln, Nerven, Faszien und all die Strukturen in unserem Körper wirken mit unserer Psyche und den Kontexten um uns herum zusammen, um unsere Wirklich zu erzeugen. Daher ist die Verkörperlichung immer auch ein Ausdruck unserer Entwicklung und unseres gegenwärtigen Zustands.
Ich verwende in meinem Framework an keiner Stelle Persönlichkeit. Das Konstrukt Persönlichkeit ist sehr interessant, wenn wir es in einem psychodynamischen Sinne beschreiben und dann von beispielsweise Ich oder Selbst oder Bewusstsein oder Seele oder .... abgrenzen.
Im Rahmen der vertieften Ausbildungen im Bereich Coaching und Therapie ist das ein interessante Feld, weil dort für konkrete Interventionsplanung andere Konzepte über den Menschen notwendig sind.
Am Ehesten kann ich also von Gewahrseinsentwicklung sprechen, denn das ist sowohl der Ausgangspunkt als auch in gewisser Weise der Endpunkt des Kreises, in dem wir nach einem Entwicklungsschritt wieder ankommen, jedoch mit einem deutlich geweiteten Gewahrsein, also mit mehr, wessen wir uns gewahr sind oder zumindest sein können.
Im folgenden Blogbeitrag zur Frage "Was bedeutet eigentlich Persönlichkeitsentwicklung?" erfährst Du mehr zur Bedeutung, Schubladen und Definitionen.