

Eine kleiner Hinweis vorab... es geht in diesem Artikel NICHT um etwas, was sich aus dem agilen Manifest entwickelt hat. Es geht nicht um agile Frameworks, Methoden oder ähnliches. Hin und wieder werde ich aber Bezug darauf nehmen.
Bei Agilität geht es vor allem und die Fähigkeit zur Anpassung und die Flexibilität mit unterschiedlichen Situationen umzugehen. Es geht um passende oder neue Bewältigungsmechanismen. Dabei ist es sehr wesentlich zu berücksichtigen, wie ein Mensch sich selbst, anderen Menschen, Situationen und Kontexten Bedeutung verleiht.
Die Perspektive der Bewusstseinsentwicklung oder auch der Ich-Entwicklung nimmt genau das in den Blick. Wie ist die Struktur der Bedeutungsgebung. Dabei lassen sich verschiedene Stufen einer vertikalen Entwicklung beschreiben, die von früher und einfacher hin zu später und komplexer reichen. Dabei ist komplexer nicht automatisch besser, sondern erst einmal einfach nur anders.
Genau darum sind Schablonen und der Einsatz von Methoden oft nicht erfolgreich
Alles was ich verstehe, verstehe ich auf Grund meiner eigenen Haltung (von der die Ich-Entwicklungsstufe ein Teil ist…..). Mehr zur vertikalen Entwicklung und zum STAGES Entwicklungsstufenmodell ist in dem verlinkten Beitrag zu lesen.
Wie eine Führungskraft (und auch Mitarbeiter) Agilität interpretiert, ist stark von ihrer eigenen Haltung abhängig. Haltung besteht in meinem Verständnis aus zwei Komponenten. Zum einen die inhaltliche Komponente, was ist mir wichtig, was habe ich gelernt, was ist mein Persönlichkeitstyp und wie bringe ich diesen ein. Diese Komponente ist relativ kurzfristig zu entwickeln.
Die andere Komponente ist die Bewusstheit, die Ich-Entwicklung. Wie setze ich mich selbst in Beziehung zur Welt, in welcher Art und Weise gebe ich den Phänomenen innerhalb und außerhalb von mir Bedeutung. Diese Komponente nimmt den Kern des Menschen in den Blick, die Art und Weise der Bedeutungsgebung. Die Ich-Entwicklungsstufeauf eine spätere Stufe zu entwickeln ist ein hochkomplexer Prozess, der zwar unterstützbar, aber nicht planbar ist. Und dennoch ist die Entwicklungsstufe an einigen Stellen ein wirklich entscheidender Faktor.
Die Entwicklungsstufe ist sozusagen eine Moderatorvariable, die bestimmt, wie ich mit allem, was von Außen und von Innen auf mich einströmt umgehe. Wenn ich beispielsweise meinen eigenen Maßstab sehr stark an meiner Bezugsgruppe anlege, so bin ich mit dem Akzeptieren gänzlich anderer Kulturen weitaus geforderter, als wenn ich mir schon über die Prägungen bewusst geworden bin, die dazu geführt haben, welchen Maßstab ich anlege. Dabei geht es nicht nur um konzeptionelles und rationales Verständnis, sondern vor Allem um die Verkörperlichung, also das eigene Handeln aus der jeweiligen Entwicklungsstufe.
Bei der Besetzung von Schlüsselpositionen ist also der Blick auf die Entwicklungsstufe äußert sinnvoll, damit die Anforderungen an die Person die Bewältigungsmechanismen nicht überschreitet. Joiner und Josephs haben die Ich-Entwicklung auf das Thema "agile Führung" angewandt. Dabei sind sie auf vier wesentliche Beobachtungsfelder und Schlüsselkompetenzen gestoßen:
Im Folgenden einmal im Überblick zusammengestellt:
Dabei handelt es sich um frühe Entwicklungsstufen bei denen noch nicht von Agilität gesprochen werden kann. Hierbei befinden wir uns als Menschen sozusagen erst einmal auf der Reise, in der Gesellschaft anzukommen. Wir lernen als kleine Kinder mit unseren Körpern umzugehen, wo hört der Körper auf, was können wir mit dem Körper anfangen. Danach lernen wir, wie wir uns in eine Gemeinschaft einbinden können. Wir erlernen Regeln, die Fähigkeit Beziehungen aufzubauen und aufrecht zu erhalten und wir integrieren Prinzipien, die es uns ermöglichen, dass wir stabil zu unseren Werten stehen und lanfgristig Organisationen zu bauen. Auf diesen Stufen kann noch nicht von Agilität gesprochen werden, weil die innere Persönlichkeitsstruktur entweder prä-sozial ist oder die Orientierung an der Bezugsgruppe so groß ist, dass kaum eine eigenständige Meinung sichtbar ist.
Auf diesen Stufen befinden sich insgesamt ca. 16% der erwachsenen Menschen.
Die heroischen Stufen werden gehören auch zu den konventionellen Stufen. Das bedeutet, diese entsprechen -immer noch- in unserer Gesellschaft den üblichen Erwartungen. Daher unterstützt uns die Gesellschaft in der Entwicklung bis zu diesen Stufen, danach wird es schon schwieriger, entwicklungsförderliche Umfelder zu finden.
Das zeigt aus meiner Sicht schon sehr deutlich, wie ein Verständnis von Agilität und Anpassungsfähigkeit auf dieser Stufe aussieht.
Auf dieser Stufe sind Menschen in der Lage, eine eigenständige Position einzunehmen, sie selbst sehen sich in der Verantwortung und fähig dazu, ein Urteil zu fällen. Sie orientieren sich dabei an den eigenen Maßstäben, die natürlich auf Grund der vielfältigen Lernerfahrungen und der Rahmenbedingungen des Kontexts gebildet wurden. Jedoch fehlt hier noch die Bewusstheit für eben genau diese Einflussfaktoren auf die eigenen Maßstäbe. Hier könnten jedoch agile Werte und Prinzipien zum eigenen Maßstab werden, jedoch mit der besonderen Herausforderung, dass man diese grundsätzlich auf alle anderen auch anwendet. Dies kann durch die Fähigkeit zur Einbindung von Stakeholdern oft kompensiert werden, jedoch ist die Kontextkopplung an nicht-agil arbeitende Umfelder hier noch oft schwierig. Die Verinnerlichung von Kontexten im Sinne von "unterschiedlichen Sinngebungsfeldern" ist hier noch nicht erfolgt.
Die post-heroischen Stufen entsprechen auch den post-konventionellen Stufen. Wir verlassen die üblichen Erwartungen der Gesellschaft und es ist wichtig, die Fähigkeiten der früheren Stufen auch nach wie vor zu nutzen. Auf diesen Stufen wird unser Ich wieder durchlässiger. Menschen auf diesen Stufen beginnen zu erkennen, wie eigentlich ihre Maßstäbe entstanden sind und werden somit immer flexibler und systemischer, begreifen sich mehr und mehr als eingebettet in Wechselwirkungen und können daher immer offener und flexibler werden. Sie müssen sich selbst und ihr "Ich" immer weniger schützen und können daher auch ihre eigene Position immer einfacher hinterfragen.
Aus meiner Sicht sprechen wir hier eigentlich von der ersten Stufe, die im Wesentlichen in der Lage ist, die Werte und Prinzipien des agilen Manifests tatsächlich jenseits von Schablonen und Mustern anzuwenden. Es steigt das Kontextbewusstsein und damit auch langsam die Erkenntnis der Einzigartigkeit von Situationen. Das Risiko, sich jedoch in der Multiperspektivität zu verlieren und keine integrierenden Prinzipien zu haben, ist auf dieser Stufe gegeben. Daher ist der Rückgriff auf agile Praktiken und Teile von agilen Frameworks oft extrem nützlich. Hierbei wird aber nicht nur das Framework eingeführt, sondern tatsächlich auch auf die eher nicht objektiv zu bewertenden Faktoren geachtet, wie beispielsweise die Stimmung im Team, wie privat-persönliche Situationen auch vom Team aufgefangen werden können und wie offen sich Menschen auch mit ihren Ängsten zeigen können.
Vor allem steigt hier das Verständnis von Kontext im systemischen Sinne, also was definiert Sinn und Bedeutungsgebung in den verschiedenen Kontexten, beispielsweise innerhalb des Teams, außerhalb des Teams und in Einzelgesprächen
Gerade an dieser Stufe muss ich -mal wieder- darauf hinweisen, dass schnell Inhalte auf Stufen mit den Strukturen von Stufen vermengt werden. Und da jeder grundsätzlich alles, was er oder sie liest auf Basis der eigenen Entwicklungsstufe versteht, wird vielleicht auch die Beschreibung dieser Stufe manchen dazu ermutigen, sich selbst auf dieser Stufe zu verorten. Ich möchte dabei einfach darauf hinweisen, wie selten diese Stufe in einer vollen Ausprägung ist. Und wie schwierig eine Selbsteinschätzung ist.
Hier befinden wir uns jetzt nochmal in einem neuen Bereich der Bewusstseinsentwicklung. Diese Stufen werden manchmal auch post-postkonventionell genannt. Hier wird der Fokus der eigenen Wahrnehmung intensiv auf den Prozess der eigenen Bedeutungsbildung gelegt. Wir fangen sozusagen an, unsere Bewusstheit selbst in den Fokus zu nehmen und überschreiten damit die Reflexion über unser Denken, Fühlen, unser "so-geworden-sein" und all die systemischen Einflüsse, die uns geprägt haben und prägen.
Die letzte hier beschrieben Stufe stellt sozusagen ein Sammelbecken für verschiedene spätere Stufen dar. Eine genauere Unterscheidung ist mittlerweile möglich, auch wenn es hier natürlich eine weitaus geringere Datenbasis gibt, als für die früheren Stufen. Für diesen Artikel ist eine weitere Unterscheidung eher uninteressant. Die Beschreibung dieser Stufen ist auch sehr schwierig, da die Versprachlichung der Erfahrungen und der Struktur dieser Stufe eine besondere Herausforderung darstellt, denn wir kreieren einen Großteil unserer Erfahrung auf Basis der sprachlichen Muster, die wir in unserem Leben gelernt haben. Auf diesen Stufen wird aber mehr und mehr verstanden, wie Sprache die Erfahrung eben auch einschränkt. Und falls Sie die Vermutung haben, auf diesen späten Stufen zu sein, sollten wir auf jeden Fall einmal in den Austausch gehen, denn hier ist durchaus eine Unterstützung aus vielfältiger Begründung heraus sehr nützlich.
Erst einmal, was ja nichts wirklich Neues ist, dass wir sehr genau hinschauen müssen, wer versteht was unter "agil". Und jede Stufe hat besondere Kapazitäten und Qualitäten, die es in einer Organisation so zu nutzen gilt, damit es für die Organisation und alle Menschen darin zu gedeihlichen Prozessen kommt.
Die Perspektive der Ich-Entwicklung ermöglicht aber -eine sinnvolle Diagnostik, die keineswegs trivial ist, vorausgesetzt- Menschen mit passenden Kapazitäten an Schlüsselstellen einzusetzen und so ein System zu erzeugen, in dem die Kapazitäten der Stufen optimal genutzt werden können.
Und jetzt sind wir an der Stelle, wo ich nochmal darauf hinweisen möchte, dass es im agilen Kontext idealerweise sehr viele Führungskräfte gibt. Unabhängig davon, ob diese formell in einer Führungsrolle eingesetzt sind. Es sind besonders motivierte Menschen, die andere begeistern können, sei es durch Expertise, emotionale Kompetenz, Kontextkompetenz, Intuition oder andere verbindende und fördernde Fähigkeiten, Menschen die Führung als umfassende Aufgabe verinnerlicht haben und sie gemeinschaftlich in einem gedeihlichen Sinne leben.
Bei Interesse an einer objektiven Bestimmung des individuellen Entwicklungsschwerpunkts sind auf der hier verlinkten Seite weitere Informationen zu finden.
Buch: Leadership Agility von Bill Joiner und Stephen Josephs, eine konkrete Anwendung der Ich-Entwicklungsstufen.
Die %-Zahlen entstammen einer Studie von Susanne Cook-Greuter aus dem Jahr 2010, in der Forschungsstudien und Projekte von 1980 bis 2000 berücksichtigt wurden. Mit insgesamt 4.267 Teilnehmern zwischen 16 und 82 Jahren mit unterschiedlichen sozialen Schichten und Berufsgruppen sind diese Zahlen (zumindest für die USA) repräsentativ. Eine andere Stufe von Rooke & Torbert, die im Schwerpunkt Manager und Berater in UK im Fokus hatte, ergibt im Großen und Ganzen kein allzu weit davon entferntes Bild.