Wie wir mit anderen Menschen umgehen ist auch ein Ausdruck unseres Menschenbildes, das meistens unbewusst ist. Es entsteht aus wesentlichen Grundannahmen, die in unserem Denken, Fühlen und Handeln wirken.
Oft wird bei dem Blick auf das Menschenbild auf die Unterscheidung von Theory X (der Mensch ist unwillig und muss energisch angeleitet und streng kontrolliert werden) und Y (der Mensch ist engagiert und es müssen Bedingungen geschaffen werden, unter denen er Verantwortung übernehmen und Eigeninitiative und Kreativität entwickeln kann) von McGregor verwendet. So verführerisch und einfach eine solche „der Mensch ist-Logik“ aber sein mag, gerade um etwas knackig auf den Punkt zu bringen, sie reicht mir im Sinne eines "reflektierten und bewusst gewählten" Menschenbildes nicht aus.
Als Anregung zum Erforschen und vielleicht sogar Aktualisieren des eigenen Menschenbildes biete ich hier einmal den aktuellen Stand meines Menschenbild an. Ich präferiere ein systemisch-konstruktivistisches, realistisch-sinnorientiertes, eigenverantwortliches und entwicklungsoptimistisches Menschenbild... ;-)
Und das verbirgt sich dahinter:
Menschen sind Beziehungswesen in Systemen. Das bedeutet auch, dass sie grundsätzlich zur Kooperation und Co-Kreation fähig sind. Menschen suchen Beziehungen und Bezogenheit, nicht nur zu anderen Menschen, sondern auch zu abstrakten Dingen, wie Projekten, Zielen etc.
Jeder Mensch ist in verschiedene Kontexte eingebunden und konstruiert seine ganz persönliche, relative Wirklichkeit (also die Art, wie und was er wahrnimmt, wie er es interpretiert, darüber nachdenkt und dem Bedeutung gibt und ggfs. daraus Handlungen ableitet) aufgrund seiner aktuellen und früheren Kontexterfahrungen. Er ist in Beziehungen und aufgrund all der Beziehungserfahrungen, die er gemacht hat, hat er seine ganz eigene Sicht entwickelt und läuft mit ihr durch die Welt.
Menschen handeln so, dass es in ihrer, für sie jeweils sehr realen Wirklichkeitskonstruktion Sinn ergibt und ihnen dient. Das ist ein subjektiv-positives Motiv und damit grundsätzlich in Ordnung. Wenn ich jetzt frage: „Wie wirkt das Verhalten in einer Organisation?“, können die Auswirkungen des Verhaltens für die Organisation ungünstig bis hin zu schädlich sein. Allerdings muss ich vorsichtig sein, wie ich das be- oder im schlimmsten Fall sogar verurteile. Aus seiner Sicht wird der andere immer etwas tun, was in seiner Wirklichkeitskonstruktion sinnvoll ist. Wie kann man also im Rahmen von Organisationsentwicklung und Führung einem anderen Menschen Sinn aus der Perspektive der Organisation vermitteln, wenn dieser zunächst nicht mit seinem persönlichen Sinn übereinstimmt? Aus Sicht der Organisation mag manches ausschauen wie das Dämlichste, was man machen kann. Aber das sind eben nur unterschiedliche Perspektiven.
Jeder Mensch kann nach seinen Möglichkeiten denken, fühlen und sich verhalten und jeder hat Verantwortung für sein Leben, die er individuell unterschiedlich gestaltet auch selber tragen möchte.
Für mich ist deshalb eine Opferhaltung und Verantwortungsabgabe nicht akzeptabel. Auch nicht, wenn Sie mit den Worten: „Ja, Chef, ich habe nur getan, was du gesagt hast.“ erfolgt. Unabhängig davon, dass die Aussage natürlich erst einmal okay ist, denn das tun Menschen, weil es für sie selbst irgendwie sinnvoll erscheint. Aber, aus meiner Sicht ist es wichtig, Menschen zu mehr Eigenverantwortung zu verhelfen, um so für das eigene Leben aber auch in der Organisation mehr Lebendigkeit zu leben. Eine Organisation darf aus meiner Sicht keine Leidensgemeinschaft sein. Jeder, der darin arbeitet, hat sich einmal dazu entschieden. Wenn jemand feststellt, dass seine persönlichen Erwartungen mit der Realität in der Organisation nicht in Einklang zu bringen sind und er unglücklich ist, sollte er kündigen und aufhören herum zu jammern. Das Nicht-Bewusst-Machen der eigenen Verantwortung vernichtet Energie und Kreativität. Wenn jemand nicht kündigen will, weil die Folgekosten der Kündigung höher sind als dort weiter zu arbeiten – okay, dann sollte er eine bewusste Entscheidung treffen und dann dazu stehen. So kann er dann seine Kraft und Energie auf Wünschenswertes richten und sich zieldienlich einbringen. Übrigens bin ich davon überzeugt, dass man Menschen Eigenverantwortung aberziehen kann, indem man ihnen immer zu viel abnimmt oder ihnen zu wenig zutraut. Je nachdem, wie man einen Menschen anspricht, so reagiert er auch darauf. In vielen Organisationen wurden Menschen zu »Nicht-Verantwortung« erzogen.
Menschen haben die Fähigkeit, bewusst ihre Situation zu betrachten und Änderungen herbeizuführen. Sie können sich translativ entwickeln – also auf einer Bewusstseinsstufe, auf einer Ich-Entwicklungsstufe, auf der gleichen Komplexitätsebene neues Wissen und neue Methoden erlernen und so nachreifen., Oder sie können transformativ auf eine neue Bewusstseinsstufe gelangen.
Dieses mein Menschenbild lässt durch seine Grundlage für eine eigene Wirklichkeitskonstruktion sehr viel Freiheit für unterschiedliche Perspektiven. Genau dieser Umgang mit den verschiedenen Perspektiven in einer Organisation, mit den Spannungsfeldern und Dilemmata, ist für mich eines der spannendsten Felder im Kontext der Organisationsentwicklung.
Ich möchte noch erwähnen, dass das eigene Menschenbild eine gewisse selbstverstärkende Wirkung hat. Ein Weltbild der Theorie X wird mich auch dazu veranlassen, Menschen so zu behandeln, wie ich sie sehe. Was wiederum dazu führt, dass sie sich vermehrt so zeigen. Wie es in den Wald hinein ruft….
Und genau darum lade ich Sie ein, Ihr Menschenbild und seine Auswirkungen auf Ihr Führungsverhalten mit zu reflektieren, es zu erweitern und vielleicht sogar auf eine neue Ebene zu heben.
Viel Spaß dabei!