Das englische Wort für Schal ist SCARF. Und das ist zugleich auch ein Modell, was von David Rock entwickelt wurde und auf neurowissenschaftlicher Forschung basiert.
Was nicht unbedingt ein Qualitätslabel ist, aber doch irgendwie gut klingt oder? 😉
Interessant daran ist, dass in der Forschung fünf Domänen des SCARF-Modell in sozialer Interaktion herausgearbeitet wurden, die alle das gleiche Bedrohungs-/Belohnungssystem im Gehirn aktivieren. Das beschreibt also etwas, was unmittelbar nach den frühen Reaktionen des autonomen Nervensystems in unserem Gehirn abläuft. Es handelt sich aber immer noch um ein sehr primitives, einfaches und schnelles System in unserem Gehirn.
Diese „primitive“ Reaktion hilft, die manchmal starken emotionalen Reaktionen zu erklären, die wir in sozialen Situationen haben können – und warum es oft schwer ist, sie zu kontrollieren. Es ist ein Instinkt, der zu unserem Überleben beigetragen hat. Und leider(?) können wir ihn nicht einfach abstellen.
Wenn wir zum Beispiel von einer Aktivität ausgeschlossen werden, empfinden wir das als Bedrohung unseres Status und unserer Zugehörigkeit. Die Forschung hat gezeigt, dass diese Reaktion dieselbe Hirnregion stimulieren kann wie körperlicher Schmerz. Mit anderen Worten: Unser Gehirn sendet das Signal aus, dass wir in Gefahr sind und eine Verletzung erleiden.
Wenn wir uns bedroht fühlen – sei es physisch oder sozial – beeinträchtigt die Ausschüttung von Cortisol (ein Stresshormon) unsere Kreativität und Produktivität. Wir können buchstäblich nicht mehr klar denken, was das Gefühl der Bedrohung noch verstärkt.
Auf der anderen Seite schüttet unser Gehirn Dopamin (ein Glückshormon) aus, wenn wir uns belohnt fühlen (zum Beispiel, wenn wir für unsere Arbeit gelobt werden). Und natürlich wollen wir mehr davon! Also suchen wir nach Möglichkeiten, um wieder belohnt zu werden.
Natürlich ist das individuelle Erleben autonom, also können wir nicht von aussen bestimmen, ob jemand sich psychisch sicher fühlt oder nicht, aber es ist vielleicht nützlich dieses Modell kennen zu lernen und ein wenig über diese Faktoren zu reflektieren und auf dieses zu achten. Am Ende gibt es dazu eine Übungsanregung. Aber jetzt erst mal das Modell (wie gewohnt in totaler Verkürzung 😉 ).
Hier geht uns um unsere relative Bedeutung im Vergleich zu Anderen. Damit geht es, insbesondere in der heutigen Zeit, natürlich auch um die Anerkennung von Leistung, Wissen und Fähigkeiten.
Typische Bedrohungen finden wir hier demzufolge bei Feedback. Gutes Feedback ist eine Kunst, denn oftmals mischt sich darin eine Bewertung ein und wenn jemand eine Bewertung ausspricht, geht damit auf der Beziehungseben häufig eine gewisse Art von Gefälle einher. Um hier die potentielle Bedrohung zu reduzieren, könnte die Frage nach einer Selbsteinschätzung der eigenen Leistung ein sanfterer Ansatz sein.
Auch Feedback als Wunsch in die Zukunft zu formulieren könnte hilfreich sein.
Auch Feedback explizit für Aktivitäten und nicht für Eigenschaften oder die Person an und für sich zu geben ist hier ein möglicher hilfreicher Aspekt.
Hier finden wir unsere Fähigkeit, zukünftige Ereignisse vorherzusehen und somit eine gewisse Erwartungssicherheit aufzubauen. Also eine Sicherheit, dass unsere Erwartung getroffen wird.
Dabei brauchen also Abläufe und Interaktionen eine gewisse Stabilität. „Nichts ist schlimmer als ein unvorhersehbarer Chef“. Aus der Perspektive von Certainty wäre sogar jemand, der immer negativ ist weniger bedrohlich, als jemand der mal sehr zugewandt und mal sehr abweisend ist.
Das bezieht sich aber eben nicht nur auf Interaktionen, sondern auch auf andere Rahmenbedingungen, wie Prozesse, räumliche Begebenheiten und dergleichen mehr.
Klare Prinzipien für die Zusammenarbeit und einigermassen verlässliche Rahmenbedingungen sind hier also ein Schlüsselelement.
Da bekommt der alte Grundsatz in Veränderungsprozessen „bis etwas Neues beschlossen und umgesetzt ist, ist das Alte nach wie vor gültig, egal wie viele Ideen und Pläne wir haben“ ganz besondere Bedeutung.
In der nächsten Dimension geht es um das Empfinden, eine gewisse Gestaltungsmacht und Kontrolle über Ereignisse und Umfeld zu haben. Dazu gehört auch die Möglichkeit, eigene Entscheidungen zu treffen und somit eine Wahlfreiheit zu erleben. Ein Übersteuern hingegen führt zu einer Bedrohung in dieser Dimension, ebenso zu enge Leitplanken.
Und natürlich muss man diese Dimension -wie alle anderen- auch in Bezug zu den anderen Dimensionen sehen. Wenn bislang in der Organisation den Mitarbeitenden eine geringe Autonomie zugestanden wurde, kann man das nicht einfach ändern, sondern in maßvollen Schritten.
Was ist also ein passender Rahmen und eine passende Ausrichtung, die es Menschen ermöglicht mehr Autonomie zu leben als vorher?
Gestaltung der Zielerreichung deine Autonomie und wird als eine Belohnung bewertet.
Hier geht es um die Zugehörigkeit, bzw. darum, wie sicher ich mit mit den anderen fühle. Wie sicher ist also meine Zugehörigkeit zu der Gruppe und innerhalb der Gruppe eine gewisse Verbundenheit. Hier haben wir natürlich evolutionär einen besonders spannenden Punkt. Denn evolutionär betrachtet war der Abschluss aus der Gruppe ein Todesurteil. Und als Menschen werden wir sehr hilflos in diese Welt geboren und sind somit für unser Überleben darauf angewiesen, dass wir zugehörig sind.
Unabhängig von der individuellen Nähe/Distanz-Regulation ist das Aufrechterhalten der Zugehörigkeit ein Schlüsselfaktor.
Vielleicht ist das ein Grund, warum viele Gruppen sich gerne als ein Team verstehen würden, auch wenn die Bedingungen für ein Team -ein gemeinsames Ziel, das nur gemeinsam erreichbar ist- in dem Arbeitsablauf gar nicht gegeben sind.
Die Integration neuer Mitarbeitenden und das Verabschieden gehender Mitarbeitenden ist hier ein interessanter Punkt.
Aber gerade in Zeiten von Online-Arbeit sollte dieser Punkt nochmal besonders berücksichtig werden, weil Rituale wie das Treffen am Kaffee oder die morgendliche Runde mit einem Blickkontakt als Ausdruck einer wechselseitigen und gemeinsamen Verbundenheit nicht statt finden.
Bei dieser Dimension geht es um die Gerechtigkeit im Ausgleich zwischen Menschen. Also sowohl untereinander, als auch im Zusammenspiel mit der Organisation.
Auch hier wirken die Dimensionen wieder zusammen. Gibt es klare Erwartungen und Vereinbarungen, sowie die damit einhergehenden Prinzipien für den Ausgleich, die womöglich gemeinsam entwickelt wurden… ist die Fairness für alle relativ leicht nachzuvollziehen. Auch die Begründung und Nachvollziehbarkeit von Entscheidungen, Stellenbesetzungen, Aufgabenverteilung und ähnlichem sind hier relevante Punkte.
Ein interessanter Aspekt ist übrigens, dass bei dem Empfinden von Unfairness die gleichen Gehirnareale aktiviert werden, die für das Ekelempfinden verantwortlich sind.
Ekel hat ja die evolutionäre Funktion, uns zu warnen, ob uns etwas vergiftet oder nicht. Daher ist auch hier ein tiefliegender Mechanismus involviert und eine „bewusste Steuerung“ eine… „interessante“ Idee.
Ich erlebe derzeit in der Nutzung dieses SCARF-Modells eine Menge Anspruch an Führungskräfte, meistens in Verbindung mit der Forderung, es solle für psychische Sicherheit gesorgt werden, man müsse Mitarbeitenden psychische Sicherheit geben und ähnliches mehr.
Das adressiert mal wieder mein Lieblingsspannungsfeld:
Kein Mensch kann uns ein Gefühl, einen Gedanken, eine Reaktion geben! Das macht jeder Mensch selbst. Das wir vielleicht auf Grund von Mustern, Trägern, Prägungen den Eindruck haben, jemand anders „macht was bei uns“ steht auf einem anderen Blatt. Und natürlich konstruieren wir unsere Erfahrungen auf Basis dessen, was der Kontext uns anbietet, somit gibt es auch eine gewisse Verantwortung, den Kontext gut zu gestalten. Ob das die Führungskraft alleine tut, ob das mit der Gruppe geschieht und ähnliches mehr… ist ein anderes Thema. 😉
Um den Scheinwerfer aber nochmal auf die Eigenverantwortung zu lenken:
Diese fünf Dimensionen des Modells sind auch spannenden (Selbst-)Erkundungsdimensionen.
Jetzt lenke ich den Scheinwerfer mal auf das Thema der Kontextgestaltung. Natürlich kann ich in der Moderation oder der Führung einer Zusammenarbeit darüber nachdenken, wie ich dazu beitragen kann, die Wahrscheinlichkeit des Erlebens von psychologischer Sicherheit zu erhöhen.