„Schatten“ ist ein Konzept, welches ursprünglich aus der Individualpsychologie stammt. Wenn ein Begriff oder ein Konzept weiterverwendet wird, gilt es immer auch zu prüfen, welcher Bedeutungsraum dabei mit übernommen werden soll. Denn ein Begriff aus einem bestimmten Kontext beinhaltet ja auch Annahmen über Welt, Mensch, Gegenstand der Betrachtung und häufig auch weitere Aspekte der Herkunft. Unter Verwendung der integralen Theorie ist in diesem Fall vor allem wichtig, dass Schatten ein Konzept ist, was sich ursprünglich auf ein echtes Holon bezog. In diesem Zusammenhang gibt es verschiedene Ansätze, Ausprägungen von „kollektiven Schatten“ zu beschreiben. Diese Ansätze sind insbesondere für die Begleitung von Einzelpersonen und globaler Arbeit sehr interessant und nutzbringend.
In diesem Artikel beschränke ich mich jedoch auf die Anwendung von Schattenkonzepten auf Organisationssysteme. Ein Organisationssystem ist im Sinne der integralen Holontheorie ein soziales Holon und hat eben keine individuellen Quadranten. Dazu kommt, dass eine Organisation eine ganz spezifische Form eines sozialen Holons darstellt.
Für diesen Artikel möchte ich eine sehr einfache Form des Verständnisses von Schatten verwenden:
Ein Schatten ist in dieser einfachsten Form etwas, was außerhalb der Aufmerksamkeit liegt. Dabei ist es in einer Organisation spannend zu fragen, außerhalb WESSEN Aufmerksamkeit. Mir geht es hier aber nicht um eine tiefere theoretische Diskussion über das Wesen von Schatten an und für sich, sondern um pragmatische für eine integral informierte Organisationsgestaltung und -entwicklung nutzbare Ansätze. Ich verwende hier übrigens auch eine sehr vereinfachte Form der systemischen Betrachtung, um eine hohe Anschlussfähigkeit zu ermöglichen.
Jede Organisation entwickelt ihre ganz speziellen Muster der inneren Organisation und der Kopplung an die Umwelten. Ich verwende in meiner Arbeit einige Schattenkategorien, die sowohl die Analyse und vor allem die zieldienliche Dialogfähigkeit in einer Organisation unterstützen sollen.
Organisationen sind eine Sonderform von Systemen. In diesen gilt ganz besonders, dass Organisationen nicht aus sich heraus existieren können, sondern in einer spezifischen Abhängigkeit zu ihrer Umwelt „Markt“ existieren. Es muss jemand ein Interesse oder Bedürfnis an dem Wert haben, den die Organisation erzeugt. Dieses Interesse muss so hoch sein, dass für den Erhalt des Wertes ein angemessener Energieausgleich erfolgt. Ganz klassisch kaufen Kunden produzierte Werte und geben dafür Geld. Ob es sich um ein Produkt oder eine Dienstleistung oder vielleicht noch ganz andere Werte handelt, ist dabei erst einmal irrelevant.
Die Existenz des Systems ist also abhängig von der Wertschöpfung. Daher ist dieser Aspekt bei Entscheidungen und Handlungen immer wieder mit in die Aufmerksamkeit zu beziehen. Oft erfolgen Diskussionen, Entscheidungen und sogar Strukturierungen jedoch ohne die Wertschöpfung und die außenliegenden Interessen am Wert in die Aufmerksamkeit zu integrieren.
Als Individuen beziehen wir wesentliche System-Erfahrungen aus unseren Familien, die Unterscheidung der System-Kontexte Familie und Organisation sind daher besonders wichtig.
Dies kann auf der individuellen Ebene der beteiligten Personen erfolgen, aber auch zu einem organisationalen Schatten werden. Insbesondere in der aktuellen Entwicklung der Corona-Situation, wo die Grenzen zwischen verschiedenen Kontext- und Rollenwelten vermehrt verschwimmen.
Die Zugehörigkeit zu einer Organisation ist über einen Vertrag geregelt. Im Gegensatz zu einer Familie ist die Organisation keine „Leidensgemeinschaft“, sondern eine Austauschbeziehung. Jede Vertragspartei muss dabei immer wieder prüfen, ob die Austauschbeziehung noch stimmig ist. Die Organisation muss dem Mitarbeiter einen Sinn ergeben und der Mitarbeiter muss der Organisation einen Sinn ergeben. Dabei ist Sinn hier systemisch zu verstehen, die Anschlussfähigkeit für Beide muss gegeben sein. Dabei können je nach Person oder Organisation sehr unterschiedliche Faktoren relevant sein. Eine Kündigung ist keine Tragödie, sondern eine ganz normale Interaktion in einem Organisationssystem. Interaktionen und auch Kommunikation basieren in einem Organisationssystem auf Vereinbarungen, eine Verbindlichkeit darin ist unerlässlich. Diese Verbindlichkeit auch einzufordern und Konsequenzen bei Unverbindlichkeit folgen zu lassen ist ebenfalls eine ganz normale Interaktion in einem Organisationssystem. In Familiensystemen, in denen es keine Kündigung gibt und die Überlebensbedingungen eher der emotionale Zusammenhalt sind, wird eine solche Klarheit und Konsequenz oftmals bedrohlich wahrgenommen.
Weitere Kontextverwechselungen können in den Fachrollen und den Organisationsrollen geschehen. Bei den Fachrollen geht es in erster Linie um die Qualifikation, also welche fachlichen Kompetenzen hat jemand auf Grund seiner Ausbildung, die ja sowohl formal als auch erfahrungsbasiert sein kann. Wie professionalisiert ist diese Fachrolle. Welche Fachkundigkeit ist auch notwendig, um gewisse Sachverhalte zu bewerten. Ein typischer Schatten in Organisationen ist, sich nicht die ausreichende Expertise in die Organisation zu holen, sondern jemanden nach dem Besuch eines Seminars mit Aufgaben zu betrauen, die einen wesentlich höheren Professionalisierungsrad benötigen.
Auch immer wieder zu beobachten ist, dass die Organisationsrollen, also die eher formalen Aspekte von Mitarbeitern, disziplinarischen und somit vor allem rechtlichen Ansprüchen zu genügenden Führungsrollen vermengt werden. Gerade im Zuge von flachen Hierarchien werden teilweise ohne Beachtung rechtlicher Rahmenbedingungen Selbstorganisationssysteme genutzt, bei denen nicht jeder wirklich informiert ist, welche rechtlichen Implikationen damit einher gehen können.
Ergänzend können in Gesprächen oft Verwechselungen der Kontexte geschehen, wenn beispielsweise in einem hierarchisch geprägten Unternehmen eine Führungskraft inhaltlich, also eigentlich in einer Fachrolle, mitdiskutiert, aber von den Anderen in der Organisationsrolle und damit entscheidend oder Rahmenbedingungen setzend erlebt wird.
Und natürlich füllt letztendlich ein individueller, einzigartiger Mensch diese Rollen aus und gibt dadurch auch eine einzigartige Färbung hinein. Das wird auch in weiteren Schattenkategorien noch besonders Thema sein. Der Mensch, so wichtig er auch ist, ist für eine Organisation allerdings „nur“ eine relevante Umwelt und wie weit eine Organisation in diese Umwelt hinein agieren darf oder sollte ist eine wichtige Frage, die für jede Organisation sehr individuell zu beantworten ist. Eine Organisation, die sich der Entwicklung der eigenen Mitarbeiter verschrieben hat, jedoch damit nicht ihr Geld verdient, hat da vielfältige Konflikte direkt in die Organisation eingebaut.
Als letzte Anregung zu dieser Schattenkategorie in diesem Artikel erwähne ich in noch verschiedene Branchen. So erlebe ich es in meiner Praxis häufiger, dass Methoden und Vorgehensweisen, die sich bei Softwareprodukten bewährt haben auch auf Produktionsunternehmen von Geräten oder Komponenten übertragen werden. Eine Software ist jedoch virtuell und daher fast unbegrenzt erweiterbar, während bei Hardwarekomponenten alleine schon der zur Verfügung stehende physikalische Raum ein begrenzender Faktor ist. Ebenso stellen sich ganz andere Anforderungen an eine Update-Fähigkeit.Da der Gegenstand der Wertschöpfung immer auch eine Auswirkung auf die Kommunikationsbeziehungen und die Organisationsform hat, gilt es bei einer Übertragung von Aspekten in andere Kontexte eine sehr differenzierte Vorgehensweise anzuwenden. Ansonsten übernimmt man etwas aus einem anderen System, ohne es für das eigene Organisationssystem integrierbar zu gestalten. Was mich zu einer nächsten Kategorie von Schatten führt.
Introjekte sind von Außen übernommene Vorgehensweisen, Normen, Werte, Methodiken und ähnliches mehr, die direkt übernommen wurden und nicht wirklich verstoffwechselt wurden. Das Introjekt wird wie eine Art Vorlage direkt auf die eigene Organisation angewandt, ohne sich die Mühe zu machen, die Prinzipien und Mechanismen zu verstehen und mit der eigenen Organisationsrealität so abzugleichen, dass eine an diese einzigartige Organisation angepasste Umsetzung erfolgt.
Derzeit werden in vielen Organisationen Projekte für mehr Agilität gestartet. Dabei werden oft Frameworks direkt in die Organisation implementiert, die sich in manchen Kontexten bewährt haben… manchmal sogar nur in dem Kontext der Veröffentlichungen in Fachzeitschriften. Es erfolgt eben nicht die Auseinandersetzung mit den zu Grunde liegenden Prinzipien und deren Wirkmechanismen.
Ein Beispiel ist das sogenannte „Spotify-Modell“. Dabei handelt es sich um eine spezifische Anwendung agiler Techniken, die in einem bestimmten Unternehmen zu einer Aufbauorganisation geführt haben. Einige Unternehmen kopieren nun die Aufbauorganisation, ohne die wesentlichen Prinzipien dahinter zu berücksichtigen. Beispielsweise ist die von Spotify entwickelte Software architekturell in einer bestimmten Art und Weise gekoppelt, bzw. entkoppelt, je nachdem von welcher Seite man darauf schauen möchte. Eine solche Kopplungslogik im Gegenstand der Wertschöpfung ermöglicht auch eine entsprechende Kopplung in der Aufbauorganisation. Damit ist eine wesentliche Basis für das Gelingen der Aufbauorganisation oftmals gar nicht mehr ausreichend berücksichtigt. Ähnlich verhält es sich mit der Anwendung agiler Frameworks oder Methoden, ohne entsprechend die Kultur und wesentliche übergeordnete Steuerprinzipien anzupassen. Oder ohne sich um eine ausreichende Weiterbildung für Mitarbeiter zu kümmern.
Introjekte werden oft von Experten-Beratern in eine Organisation eingeführt, wenn bei der Umsetzung nicht ausreichend auf die Berücksichtigung aller Quadranten geachtet wird. Interessant daran ist, dass Introjekte durchaus verschiedenen Zielen dienen können und je nach Kontext sogar zeitweise sinnvoll sein können. Bei einer größeren Transformation einer Organisation kann das strukturelle Einführen eines Introjekts ebenso sinnvoll sein, wie bei einem Turn-Around-Management einer Organisation. Auch in der menschlichen Entwicklung könnte man Introjekte als sozial induzierte Werte und Normen betrachten, die in gewissen Entwicklungsstufen sogar nützlich für das Überleben eines Kindes sind. Ebenso gilt dies auch für die Organisation. Geht es jedoch in der Entwicklung weiter, werden solche Introjekte oft zu wesentlichen Hindernissen bei der weiteren Entwicklung. Wenn beispielsweise eine agile Methodik nur der äußeren Form folgend übernommen wurde, fehlt vielleicht die nachhaltige Entwicklung einer Anpassungsfähigkeit. Dies kann bei stärkeren Veränderungen im Marktsegment der Organisation ebenso schwierig werden, wie wenn ein Entwicklungssprung in der Komplexität der Organisation ansteht.
In der Organisationsgestaltung ist es also sinnvoll darauf zu achten, Introjekte möglichst zu vermeiden und wenn ein Introjekt auf Grund von Rahmenbedingungen und Zeitdruck nicht vermeidbar zu sein scheint auch gleich die nächsten Schritte mitzubedenken, um die eigentliche Integrations- und Anpassungsarbeit zu leisten, die notwendig ist, um aus einem Introjekt ein in die Organisation eingepasstes Element zu formen.
Introjekte können auch auf Ebene von Abteilungen oder Rollen beobachtet werden. Dabei handelt es sich dann oft um nicht explizit geklärte Erwartungen, die meistens auf theoretischen Konzepten basieren. Ein Beispiel könnte eine Corporate Design-Abteilung sein, die losgelöst von den Erwartungen des Kunden und der internen Abnehmer die kreativsten Ideen entwickelt. Oder eine Controlling-Abteilungen, die reihenweise Kennzahlen zur Verfügung stellt, mit denen die Mitarbeitenden in der Organisation eigentlich gar nicht umgehen können, bzw. die in dieser Organisation gar keine Steuerungsrelevanz haben.
Die häufigste Form der Projektionen, die oft in einer Organisation Wirkung entfalten sind Strategie-, Budget- und ähnliche Zukunftsszenarien. Es spricht nichts gegen vorausschauendes Handeln und die Bildung von Szenarien, jedoch wird daraus häufig eine Parallelwirksamkeit, die sich nicht mehr an die Unternehmens- und Umweltrealität ankoppeln lassen. Wenn es zu Planabweichungen kommt, werden teilweise aberwitzige Aktionen unternommen, um den Plan wieder zu erreichen, anstatt falsche Annahmen oder die Veränderung von Rahmenbedingungen ernst zu nehmen und darauf passend zu reagieren.
Dies wird häufig verbunden mit einem großen Aufwand in der Vorausplanung, aber anschließend auch in dem Versuch, das Reporting so anzupassen, dass scheinbar Pläne eingehalten werden. Es entsteht immer mehr Blindleistung, die nicht wirklich der Wertschöpfung dient und oft auch noch nicht einmal der Sicherstellung von Führung, der orientierenden Funktion in einer Organisation, die sowohl die Ausrichtung als auch die Leitplanken einer Organisation sicherstellen oder besser orchestrieren sollte. Übrigens unabhängig davon, ob Führung durch eine Person, also eine eher frühe Form der Führung oder durch geschickte Prozesse und Strukturen erfolgt.
Ebenso häufig finden sich Projektionen in Bezug auf die zu erledigende Arbeit. In der konkreten Ausgestaltung finden wir dann häufig nicht ausgesprochene Erwartungen anstatt konkreter Vereinbarungen und deren Dokumentation in Form von Rollen- oder Organisationseinheitenbeschreibungen. Das kombiniert sich auch häufig mit Rollen-Introjekten, bei denen Frameworks übernommen werden und zu abstrakte Rollen an Personen vergeben werden, ohne die Arbeit der notwendigen dialogischen Verständigungsprozesse zu übernehmen. Viele Rollenbeschreibungen enthalten eher Beschreibungen von Tätigkeiten als konkrete und messbare Ergebnisse. Dabei ist die Beschreibung was jemand tut oder wie es zu tun ist meistens nicht ausreichend, denn eigentlich soll es ja um Wertschöpfung gehen, also welcher Wert wird erschafft, bzw. welches Ergebnis wird erwartet.
Die Kombination von Kontextverwechslungen und Projektionen führt dann auch gerne zur Übertragung von Aspekten, die zu der Rolle gehören auf die Person, die eine Rolle ausfüllt oder auch umgekehrt. So übernimmt beispielsweise jemand eine orientierende Funktion im Rahmen der Rolle, klassischerweise disziplinarische Führung. Es kommt dann zu der Projektion, dass die Person selbst gerne Richtung vorgibt oder entscheidet, dabei handelt es sich hier vielleicht lediglich um die Erbringung einer Leistung für die Organisation. Ebenso werden manche persönlichen Verhaltensweisen, wie beispielsweise Eigenarten der individuellen Führung direkt auf die Rolle projiziert. Statt der Klärung und Aushandlung von Erwartungen aneinander, werden dann beispielsweise Erwartungen von Mitarbeitern direkt auf andere Führungskräfte übertragen, was natürlich zu vielfältigen Irritationen führt. Je nach individueller Reife und Ausbildung der handelnden Personen können sich so individuelle persönliche Muster bis hin zu Organisationsmustern und somit Kulturbestandteilen entwickeln.
Ein interessantes Spezialgebiet ist das Thema von Potentialen, sei es bei Mitarbeitenden oder auch bei bestimmten Märkten oder Produkten. Da werden mögliche Zukünfte projiziert und unter Umständen erfolgt keine Realitätsprüfung, weder über den Weg bei der Erschliessung der Potentiale, noch bei der Überprüfung einzelner Wegschritte. Und oftmals führt das zu vielfältigen Frustrationen und Enttäuschungen, bei denen dann Mitarbeitenden gekündigt, Produkte eingestellt oder Märkte verlassen werden. Oftmals hätte das durch ein bewussteres Beobachten und eine Klarheit über die Projektionen und Annahmen und somit auch der Möglichkeit von Messkriterien, die durchaus ja auch dialogisch ausgewertet werden können, vermieden werden können, um eine höhere Bandbreite an Steuerimpulsen zu nutzen.
Ein weiteres, mir zunehmend häufig begegnendes Beispiel ist die Fehleinschätzung des Reifegrades von Organisationen. Durch die Ausbreitung von Entwicklungsmodellen und deren Anwendung ohne eine gute Überprüfung der Eignung für den Organisationseinsatz werden Entwicklungs- und Veränderungsvorhaben gestartet, bei denen die Verortung der Organisation in dem Entwicklungsmodell nicht differenziert genug erfolgt, weil aus einigen wenigen Teilmerkmalen eine Gesamtstufe auf die Organisation projiziert wird oder weil die Entwicklungsstufe von Individuen, Schlüsselpersonen oder gerne auch Berater, auf die Organisation projiziert wird. Alternativ wird aus dem Modell ein inhaltlicher Idealtypus auf die Organisation projiziert anstatt dem lebendigen Entfaltungsprozess einen entsprechenden Rahmen zu geben und somit der Organisation die einzigartige Ausdrucksform zu ermöglichen, die für diese Organisation passend wäre, anstatt mit Schablonen und Idealbildern zu operieren.
Als letzte Kategorie möchte ich die abgespaltene Teilsysteme benennen. In Organisationen müssen vielfältige Zielkonflikte verhandelt und gemanaged werden. Darüber hinaus sind die meisten Konflikte in Organisationen wesentliche Treiber für die Ausdifferenzierung des jeweiligen Systems. Eine ungünstige Form der Konfliktklärung liegt in der Abspaltung von Subsystemen.
Ein pragmatisches Beispiel stammt aus der Organisationsphysik, nach der drei Strukturen in einer Organisation berücksichtigt werden müssen. Die formale Struktur, die in erster Linie Rechtsvorgaben erfüllen muss, die soziale Struktur, die nicht direkt steuerbar ist und sich vor allem auf die Beziehungen der Menschen in Organisationen bezieht und die eigentliche Wertschöpfungsstruktur. In manchen Organisationen sind diese drei Strukturen so weit von einander entfernt, dass eigentlich ein aktives gegeneinander erfolgt, um überhaupt das Überleben der Organisation sicher zu stellen.
In diese Kategorie zähle ich auch viele Entwicklungsdysbalancen, die sich manchmal auch auf der Basis von Introjekten weiterentwickeln. Ein Beispiel sind Entlohnungssysteme, die bei verschiedenen Organisationsveränderungen nicht berücksichtigt werden und somit eigentlich widersprüchliche Steuerungsimpulse senden. Wenn beispielsweise vermehrt Teamarbeit und flache Hierarchien gefordert sind und weiterhin individuelle Leistungsanreize in den Entlohnungssystemen verankert sind, ist keine kohärente Orientierung gegeben, was natürlich zu einer Irritation im System führt.
Organisationssilos fallen ebenfalls in diese Kategorie. Dabei ist es egal, ob es sich um ein funtional-, ein wertschöpfungs- oder sonstige ausgerichtetes Organisationsdesign handelt. Die Abspaltung von Systemteilen erfolgt durch eine mangelnde Kopplung der Systemelemente untereinander, was natürlich vielfältige Gründe haben kann.
Ein paar Kategorien von Schatten in Organisationen zu haben kann bei der Arbeit mit Organisationen unterstützen. Dabei ist jedoch -genauso wie bei Individuen- die Gefahr, dass ein regelrechter Schatten- und somit Entwicklungswahn entsteht.
Es kommt bei der Anwendung des Schattenkonzeptes bei Organisationen auch oft zu einer Fehleinschätzung, wenn individuelle Schatten bei Menschen beobachtet werden oder gar gelöst werden sollen. Oftmals ist das lediglich ein Ausdruck einer Systemdynamik, die im Systemdesign bereits eingebaut ist, bzw. in der Systemdesign- und Systemstrukturaspekte sichtbar werden. Beispielsweise sind ein Mangel an Orientierung in Bezug auf Ausrichtung, Prinzipien und Leitplanken sowie Unklarheiten an Systemgrenzen, wie beispielsweise Zugehörigkeit und die Aushandlung von Ausgleichsprozessen wesentliche Aspekte, deren Transparenz und Einhaltung vielen möglichen individuellen Schatten weitaus weniger „Einhakmöglichkeiten“ bieten würden. Hier liegt ein besonderes Risiko, wenn Schattenkonzepte, die ja aus einer individual-psychischen Perspektive, wie übrigens auch die meisten familiensystemischen Ansätze, entstanden sind, auf Organisationssysteme angewandt werden.
Unter Anderem aus diesen Überlegungen, aber auch aus der Überlegung des Sicherstellens des Überlebens, der Reifung und des Gedeihens eines Systems sollte das Konzept der Schatten in Organisationen kurativ verwendet werden. Wenn real existierende Probleme die Zukunftsfähigkeit der Organisation oder deren Umwelten gefährdet oder aus anderen Gründen einen Bedarf für den Eingriff in den sich entfaltenden Organisationsorganismus abzeichnet, kann die Perspektive von Schatten eine nützliche Unterstützung bei der Planung und Durchführung von Interventionen sein. Dabei sollten Hypothesen zu Schatten im Rahmen eines dialogischen Gesamtprozesses Berücksichtigung finden. Das Risiko der Zuschreibung von Schatten von außen ist auch in Organisationen hoch, was ein grundsätzliches Dilemma bei der Arbeit mit Schatten ist. Letztlich ist ein Schatten durch die Organisation selbst nicht erkennbar, ansonsten wäre es ja kein Schatten. Dennoch wäre eine reine Zuschreibung eines Schattens von außen auch nichts Anderes als ein Schatten, oder besser zwei Schatten. Denn Außenstehende projizieren ihre Sicht und im schlimmsten Falle introjiziert diese Sicht ohne die Verstoffwechselung und das Herausarbeiten des Zusammenhangs der außenstehenden Sicht mit der Unternehmenshistorie und den aktuell herrschenden einzigartigen Bedingungen in der Organisation.
Organisationale Schatten zeigen sich also beispielsweise im Dialog mit Außenstehenden, wenn dieser gelingend gestaltet wird. Das können Berater sein, das können aber auch andere Unternehmen sein, denn durch Unterschiedsbildung und somit Vergleich entstehen Informationen. Besonders nützlich ist auch die Befragung von neuen Mitarbeitenden in einer Organisation, die noch von vielen Aspekten irritiert werden, einfach weil sie die Unternehmenskultur noch nicht so verinnerlicht haben. Auch die Entwicklungsarbeit mit Einzelpersonen in der Organisation kann dazu führen, dass Individuen sich und ihre Perspektive verändern und damit auch Schatten sehen können, die bis dahin für diese Personen unsichtbar waren.
Schattenarbeit ist eine dialogische Arbeit in einem entwicklungsförderlichen Raum. Die Gestaltung dieser Räume mit der passenden Balance zwischen Offenheit, Wahrnehmen, Bezeugen und dem Nicht-Werten auf der einen Seite und Fokus, Konfrontation, Interaktion und klarem Be-urteilen auf der anderen Seite ist mit Sicherheit eine der spannendsten Aufgaben in der integralen Organisationsentwicklung.