Das Wort Vertrauensvorschuss finde ich ja schon ein wenig doppelt gemoppelt. Vertrauen bezieht sich nun mal immer auf die Zukunft. Und Vertrauen ist durchaus ein komplexes Thema und das Verordnen von Vertrauen hilft nicht weiter, wenn nun mal kein echtes inneres Vertrauen besteht. Was kann man nun also konkret tun?
Ein erster in diesem Kontext nützlicher Schritt für die Arbeit in Organisationen und Teams ist die Unterscheidung von Vertrauen und Zutrauen.
Vertrauen sehe ich für diesen Fall einmal als die Überzeugung, dass eine Person mir gegenüber wahrhaftig ist. Also sagt, was sie denkt und fühlt und damit in sich kongruent ist. Wenn ich dort in mir eine Unstimmigkeit wahrnehme, ist das ein Hinweis, weiter in die Erkundung mit dem Gegenüber zu gehen, die Sichtweise weiter zu erfragen, den Rahmen besser zu klären und auch ehrlich die Beziehungsebene anzusprechen.
Zutrauen sehe ich hier als die Überzeugung, dass jemand die Möglichkeiten und Fähigkeiten zu bestimmten Handlungen hat. Das ist auch der Punkt, auf den ich in diesem Artikel weiter eingehen möchte.
Ich habe in meinem Blog bereits einen Artikel zum Umgang mit Potential und "High Potentials" veröffentlicht und ein paar Anregungen gegeben. Diesen Beitrag findest Du hier. Hier werde ich etwas weiter gehen.
Basierend auf dem 4P-Modell der Transaktionsanalyse (Pat Crossman, Claude Steiner, Eric Berne, Bernd Schmid, Leonhard Schlegel) für Coaching und Therapie werde ich hier das Modell für 4P+T-Modell für Führung darstellen. Das steht für Potency, Permission, Protection, Process und Target. Diese Faktoren sind beim Thema Zutrauen immer wieder zu beachten.
Es geht bei Zutrauen um einen gemeinsamen Dialog und eine bewusste Gestaltung einer gemeinsamen Vorgehensweise, die fortlaufend immer wieder betrachtet wird.
Darunter verstehe ich die individuelle Kraft. Diese hat sowohl Quellen in der eigenen Ich-Stärke, wie sicher bin ich in mir, auch wenn ich auf Unsicherheiten im Außen treffe. Wie kann ich mich auch selbst beruhigen und an meine Wirkkraft gelangen. Dazu gehört auch die fachliche Kompetenz und die Fähigkeit zum Lernen. Und ebenfalls sehe ich hier das Thema des Verantwortungsbewusstseins und somit auch der Bewusstheit über Grenzen.
Dabei geht es in Bezug auf das Thema Zutrauen darum, dass jeder der Beteiligten grundsätzlich seine Potency nutzt und diese gewahrt bleibt. Nur, wenn wir aus uns selbst heraus ehrlich agieren und in uns eine Sicherheit haben, können wir uns auch auf schwierige Situationen und Dialoge einlassen. Das bedeutet nicht, dass wir uns dabei immer gut fühlen müssen, aber eine Steuerfähigkeit muss gegeben sein. Und auch die Fähigkeit zum Abgrenzen ohne sich dabei schlecht zu fühlen.
Gerade bei der fachlichen Kompetenz und beim Lernen muss hier offen gesprochen werden, was schon innerhalb der eigenen Potency liegt und was vielleicht noch entwickelt oder entfaltet werden darf.
Es geht um die Erlaubnis, etwas Neues zu probieren oder zumindest etwas Anderes. Dabei gibt es innere Erlaubnisse, die sich jeder selbst geben muss. Aber es gibt auch äußere Erlaubnisse. Dazu gehören im Organisationskontext die Übertragung von Entscheidungsbefugnissen, Budget oder anderen Ressourcen.
Zu der Erlaubnis für etwas Neues muss auch gehören, dass Lernerfahrungen gemacht werden dürfen. Diese werden manchmal auch Fehler genannt. Hier gilt es also sehr genau zu klären, zu welchen Erlaubnissen die handelnden Personen bereits bereit sind und zu welchen noch nicht. So könnte beispielsweise vor der Übertragung von alleiniger Entscheidungsbefugnis ein Prozess gestellt werden, in dem jemand die Entscheidung zwar trifft, vor der Umsetzung diese aber mit jemandem reflektieren muss.
Erlaubnisse werden nicht nur durch explizite Vereinbarungen gegeben, sondern oft auch durch Gestik und Mimik mit beeinflusst. Damit ist es besonders wichtig, hier auch ehrlich zu sich selbst zu sein und offen auszusprechen, wo die Erlaubnis zu geben noch schwer fällt. Ansonsten könnten einschränkende Gestiken und Mimiken wichtiger werden als das besprochene Wort und damit eine Erlaubnis ungültig.
Hier geht es um die verschiedensten Varianten, wie ein Schutz gegeben werden kann. Wie kann ein "Raum" gestaltet werden, in dem Fehler auch möglich sind. Wie kann auch kritisches auf der Beziehungsebene angesprochen werden ohne, dass sich jemand abgewertet fühlen muss.
Wie kann man auch das Unternehmen schützen, wenn jemand in eine neue Rolle hinein wächst.
Da gilt es von allen Beteiligten offen zu sprechen, was benötigt wird, was Ideen sind, um diese Bedürfnisse und Rahmenbedingungen zu erfüllen.
Dazu gehört auch das klare Abstecken des Rahmens, damit Sicherheit entsteht, wer bis wohin verantwortlich ist, was erwartet wird und welche Konsequenzen sich aus den übernommenen Verantwortungen ergeben können. Auch das bewusste Reflektieren über mögliche Auswirkungen, wenn Fehler geschehen oder wenn sich herausstellt, dass eine Person eben doch nicht die Fähigkeiten oder Möglichkeiten zu den erwarteten Handlungen hat.
Beim Zutrauen geht es nicht um eine einmalige Sache oder ein einmaliges Gespräch. Es ist ein -möglichst bewusst- gemeinsam gestalteter Weg. Das individuelle und gemeinsame Reflektieren über die Zeit, das Auswerten der Erkenntnisse, wie sich der Umgang zwischen den Beteiligten entwickelt, sind wesentliche Aspekte der Prozessgestaltung.
Immer wieder auf diesen Prozess zu schauen und den im Blick zu behalten, immer mal wieder die drei anderen Ps und auch das T zu hinterfragen, die Beziehungsebene im Blick zu behalten, ist wesentlich, damit mehr und mehr Zutrauen entstehen kann. Denn dadurch erfolgen bewusste Lernerfahrungen. Jenseits von (Horror-)Fantasien oder (Wunsch-)Vorstellungen wird hier im gemeinsamen Dialog eine gemeinsame Realität geformt und gemeinsam Erkenntnisse gesammelt. Damit kann Zutrauen wachsen bzw. realistischer werden. Und zwar bei allen Beteiligten. Manchmal muss man eben auch erkennen, dass man sich oder jemanden überschätzt hat. Was nicht schlimm ist, sondern einfach nur ehrlich.
Ja ich weiß, Target ist eher die Zielscheibe, aber das bringt es metaphorisch so schön auf den Punkt. Es braucht ein explizites Ziel. Es braucht die Vereinbarung von Ergebnissen und die Beschreibung von Aspekten, woran man die Erreichung des Ergebnisses erkennen kann, damit das auch für alle Beteiligten ausreichend klar ist.
Das kann bis zur Definition von Kennzahlen gehen, aber auch subjektive oder intersubjektive Beschreibungen erfassen. Wichtig ist, dass es eine klare und von allen ausreichend übereinstimmend verstandene Orientierung gibt.
An vielen Stellen wird von Führungskräften und in der Zusammenarbeit in Teams, gerade auch in der Selbstorganisation von Vertrauen gesprochen, das dringend benötigt wird. Ja, das wird es. Aber nicht blauäugig und schon gar nicht gefaked, wenn es nicht ehrlich empfunden wird. Aber Vertrauen und Zutrauen kann man bewusst entwickeln und das bedeutet Arbeit. Und ich hoffe, mit diesem Artikel die Arbeit etwas leichter gemacht zu haben, weil es einen möglichen Weg aufzeigt, wie man sie gemeinsam gestalten kann.
Wird das Zutrauen entlang des 4P+T-Modells für Führung kontinuierlich entwickelt, kann es in immer mehr ehrliches Vertrauen eingebettet sein.