Wenn ich nach einer Definition von Persönlichkeitsentwicklung im Internet suche, bekomme ich etwas über 5,6 Millionen Ergebnisse. Irgendwie interessant. Und bei ein paar Stichproben (wirklich nur ein paar...) gibt es ganz schön unterschiedliche Definitionen, was ja kein Wunder ist, wenn man weiß, wie wir Menschen Bedeutung geben. Worte sind wie Aufkleber auf Schubladen, manchmal sind die Aufkleber gleich und die Inhalte sehr unterschiedlich. Und manchmal ist ein ähnlicher Inhalt in den Schubladen, aber die Aufkleber haben unterschiedliche Titel.
Ich ziehe mal die Schublade mit dem Titel Persönlichkeit ein wenig auf. Und wenn ich da hineinschaue, dann ist darin erst einmal kein statisches Ding. Aus meiner Sicht ist Persönlichkeit kein Etwas. Persönlichkeit ist eher ein Prozess, vielleicht mit ein paar typischen Ausprägungen oder Mustern, aber nichts Festes. Und vor allem entsteht dieser Prozess, die Persönlichkeit an der Schnittstelle zwischen dem Individuum und dem Umfeld. Ich ziehe die Schublade mal weiter auf. ;-)
Auf der Seite des Individuums gibt es mindestens eine eigene Wahrnehmung von "Persönlichkeit". Das ist meistens etwas, was ich in mir erlebe. Dabei kann es sich um eher gleichbleibende Aspekte handeln, beispielsweise Verhaltensweisen oder Bedürfnisse oder Werte. Es kann sich auch um eher vergängliche Aspekte handeln, wie Gefühle oder vielleicht sogar Verhaltensweisen, Bedürfnisse und Werte. Irritiert über die Wiederholung? ;-)
Wenn wir uns selbst genau wahrnehmen, können wir vielleicht feststellen, dass es Umgebungen gibt, in denen wir eher die einen oder eher die anderen Verhaltensweisen zeigen, dass wir mal eher einige Werte hervorheben und an anderen Stellen andere Werte mehr leben. Das liegt eben daran, dass auch die Umgebung, in der wir uns befinden in uns unterschiedliche Muster einlädt, sich zu aktiveren. Ob wir das bewusst mitbekommen oder sogar steuern können ist eine andere Frage.
Jeder Mensch hat auch eine Art von Empfinden von Identität, einem "das bin ich". Das ist, womit wir identifiziert sind, das ist die Basis für unser Denken, Fühlen, Handeln, unsere Beziehungen und unsere Bedeutungsgebung. Auch darin gibt es eine fortschreitende Entwicklung und wir können immer mehr Aspekte und Objekte, Phänomene wahrnehmen. Denken und Fühlen, später welche Überzeugungen und Annahmen wir haben, noch später sogar die Art und Weise unserer Bedeutungsgebung.
Wenn wir aus der Perspektive des Umfelds schauen, sehen wir eine Zuschreiben von "Persönlichkeit" von Menschen, mit denen ich im Kontakt bin. Da verschiedene Menschen verschiedene Aspekte von einem kennenlernen und wahrnehmen, gibt es also schon mal aus der Perspektive auch mehr als eine "Persönlichkeit". Und wenn Du mal bei Dir schaust, werden Mitarbeitende Dich vermutlich anders beschreiben als Deine Eltern oder Deine Freunde.
Wir sind alle in verschiedene Gemeinschaften und Kontexte eingebunden. In allen Kontexten sind wir in gewisser Weise sowohl gestaltend, als auch gestaltet. Manchmal müssen wir für eine Veränderung der Persönlichkeit auch unser Umfeld oder Teile unseres Umfeldes verändern.
Natürlich könnte man Persönlichkeit beschreiben als das, was sich sowohl aus allen inneren Wahrnehmungen und allen äußeren Zuschreibenden ergibt, wenn man darin das sucht, was allem gemeinsam ist, die Schnittmenge von allem inneren und allem äußeren. Und wenn das ein für Dich nützliches Verständnis ist, dann hast Du eine andere Schublade als ich und das ist wunderbar. Ich finde jedoch, dass das, was am Ende von Persönlichkeit dann noch übrig bleibt für mich kein nützliches Verständnis von Persönlichkeit ist. Denn alles das, was nicht ganz so zusammen passt, das was die Lebendigkeit von uns Menschen und den Interaktionen zwischen uns Menschen ausmacht wäre damit aus der Persönlichkeit getilgt. Und gerade bei dem, was nicht so ganz zusammen passt, gibt es eine Menge Möglichkeit und auch Bedarf an persönlicher Entwicklung.
Worum es mir letzten Endes bei der Persönlichkeit geht und was aus meiner Sicht immerhin eine stabile Prozessbeschreibung ist:
Auch wenn die Persönlichkeit selbst nicht klar und statisch ist, hat sie doch wesentlich damit zu tun, wie wir in der Welt wirken, welche Wirkung wir in der Welt erzielen.
Diese Schublade mache ich jetzt auch mal stückchenweise auf. ;-)
Persönlichkeitsentwicklung hat also damit zu tun, die Art unseres in der Welt seins zu entwickeln. In der integralen Theorie wird das manchmal mit "show-up" bezeichnet, der Moment, wo wir in die Welt gehen und handeln oder eine Handlung unterlassen. Unabhängig davon, wie unsere Handlungen, unsere Beiträge vom Umfeld aufgenommen werden, so zeigen wir uns in der Welt.
Dabei möchte ich auch ergänzen, dass auch die Art und Weise, wie wir mit uns selbst umgehen auch ein Teil dieses "show-up" ist. Was wir von uns erwarten, bewusst oder unbewusst.
Welche Spannungsfelder wir wahrnehmen und auflösen oder halten müssen.
Welche inneren Zustände und Selbstmanagementfähigkeiten wir auf uns selbst anwenden.
Persönlichkeitsentwicklung hat also das Ziel, sich in der Wirkung in der Welt, in den Beiträgen, die wir leisten auszudrücken und zu zeigen. Damit meine ich aber nicht nur den Umgang mit Anderen, sondern auch den Umgang mit uns selbst. Denn, wie vorher erläutert, die Innenperspektive gehört für mich ja auch zur Persönlichkeit dazu und wir sind ja auch Teil "der Welt". ;-)
Für mich geht es also in der Persönlichkeitsentwicklung nicht nur um Selbstoptimierung, reines Ziele erreichen, sondern um einen umfassenderen Reifungsprozess, in dem wir sowohl unsere Autonomie, unsere Selbständigkeit, Eigenverantwortung und Eigenbestimmtheit steigern, als auch Verbundenheit sowie Mitgefühl mit Anderen, gemeinsam mit Fürsorge und der Achtung und Wahrung der Autonomie von Anderen. Und das im Kontext der Herausforderungen, denen wir in Organisationen, in Familien, in Gesellschaft und als Menschheit begegnen.
Übrigens bedeutet dieses sowohl Autonomie als auch Verbundenheit auch einiges an Reibung und Konflikt zwischen Menschen. Die Reifung bei Unterschiedlichkeit und Konflikt bleiben zu können, sich nicht trennen zu müssen und gemeinsam zu besserem Umgang mit Reibung und Konflikt beizutragen, vielleicht sogar diese aufzulösen, ist also ein wichtiger Teil von Persönlichkeitsentwicklung. Mit Unterschiedlichkeit konstruktiv umgehen und uns ergänzen lernen ist mir in Anliegen.
Das ist der übergeordnete Rahmen, in den dann die ganz konkreten Anliegen und Themen meiner Klienten fallen und wir gemeinsam herausarbeiten, welche nächsten Schritte möglich und machbar sind.
Wenn ich sage, dass Persönlichkeitsentwicklung ein umfassender Reifungsprozess ist, muss ich natürlich auch irgendwie eine Form von Orientierung mitgeben. Und damit habe ich persönlich auch direkt ein Problem. Denn wenn ich eine Orientierung festlege, laufe ich damit stark in die Gefahr einer Ideologisierung... und wer mich kennt weiß, dass meine Ideologie die Nicht-Ideologie ist.
Die damit verbundene Offenheit darf aber nicht als Ausrede zur Beliebigkeit werden. Ich gehe das Risiko ein, eine klare Position einzunehmen, auf die Gefahr hin, dass diese Position auch falsch sein kann. Und immerhin bin ich mir dessen bewusst, was wiederum das Risiko einer Ideologisierung senkt, weil ich bereit bin, mich in Frage zu stellen und stellen zu lassen. Und ich habe auch genug Sicherheit, dass diese in Frage stellen auch eine Fundierung braucht und ich nicht einfach umkippe.
Achtung, jetzt kann es ein wenig verschachtelt und rekursiv werden. Denn in der Überschrift ist schon ein wichtiger Teil meiner Richtung enthalten. ;-)
Ich gehe davon aus, dass ich nur mit Klienten an deren konkreten Themen und Anliegen arbeiten kann, die eine ähnliche Ausrichtung haben und sich daher auch auf den Weg machen, auf dem ich bin. Wenn wir in verschiedene Richtungen gehen, macht eine Entwicklungsbegleitung durch mich einfach wenig Sinn. Darum folgen jetzt ein paar Absätze zu meiner Ausrichtung.
Mir ist wichtig, dass jeder Mensch die eigene Einzigartigkeit entdecken und ausdrücken kann und mit dieser Unterschiedlichkeit mit Anderen zusammenarbeitet, um zu gedeihlichen Gemeinschaften und einer gedeihlichen Zukunft beizutragen. Und das bedeutet eben nicht, dass alle gleich sein müssen oder die gleiche Art und Weise von Verhalten, Sichtweisen oder Werten vertreten müssen. Meine Ideologie ist die Nicht-Ideologie. Ein klarer eigener Standpunkt, gepaart mit der Offenheit sich auf Anderes einzulassen und der Bereitschaft zu erkennen, dass der eigene Standpunkt auch verändert werden kann oder das sogar notwendig ist.
Ich möchte dazu beitragen, dass wir als Menschen uns wieder mehr als Teil der Natur begreifen. Der Satz "zurück zur Natur" ergibt eigentlich keinen Sinn, weil wir Natur sind. Wenn wir das wieder mehr integrieren, entwickeln wir einen anderen Blick auf Zukunftsfähigkeit und verringern ausbeuterische Tendenzen uns selbst, anderen und dem Ökosystem gegenüber.
In vielen Weisheitstraditionen gibt es zu kultivierende oder auszustrahlende Qualitäten, die für mich auch eine Orientierung in meiner Arbeit darstellen: Gelassenheit, Mitgefühl, bedingungslose Liebe, eine gewisse heitere Leichtigkeit, mitfühlende Freude, Dankbarkeit, Großzügigkeit und natürlich Humor. Das scheinen zeitlose Qualitäten zu sein, die uns Menschen stärken und die unterschiedlichsten Ausdrucksformen haben können. Immer aber sowohl für uns selbst als auch für Andere. Ich würd dann noch Klarheit, Unterscheidungsfähigkeit und Komplexitätsbewältigung ergänzen.
Das gibt eine grobe Ausrichtung für meine Arbeit. Das sind sozusagen meine übergeordneten Meta-Ziele. Das gibt mir genug Orientierung, um darauf konkrete Angebote zu Entwicklungs- und Weiterbildungsprogrammen zu machen. Aber das ist ja nur ein Teil der Ausrichtung. Diese muss ergänzt werden durch Deine konkreten Anliegen, Deine Ziele, Wünsche und Herausforderungen. Erst wenn wir das zusammen legen, ergibt sich Dein konkreter Pfad der persönlichen Entwicklung.
Das ist eine sehr spezifische und individuelle Frage. Jeder Mensch ist einzigartig. Jede Ausgangssituation, jeder Kontext, die Gesamtbedingungen sind einzigartig, auch wenn es natürlich strukturelle Muster darin geben mag. Daher ist das eine Frage, die ich hier erst mal nur sehr grob und abstrakt beantworten kann: Um eine andere Wirkung in der Welt zu erzielen, muss ich innerlich etwas verändern.
Das einfachste ist, wenn ich nur etwas Neues lernen muss. Das muss ich dann vielleicht noch ein wenig üben, aber ich habe die Kapazität das zu tun und es gibt keine "angezogenen Handbremsen" aus meiner Vergangenheit. Hier geht es oft um Wissensvermittlung und Kompetenzaufbau. Dazu gehört manchmal auch einfach Psychoedukation, also das Vermitteln von Wissen über Denken, Fühlen und Verhalten und wie man sich selbst steuern kann. Häufig geht es bei meinen Klienten dann auch um ein Verstehen der eigenen Bewusstheit, der Art und Weise wie man selbst Bedeutung bildet oder die Einordnung und Bedeutungsgebung von verschiedenen Erfahrungen. Aber eben auch ganz praktische Aspekte, wie ich sie beispielsweise in meiner Organisationsentwicklungsausbildung intOE® vermittele, auch wenn da noch viel mehr passiert. Das ist also auch eine Form von "show-up".
Die Art und Weise wie wir Menschen Bedeutung geben, was wir reflektieren können und welche Phänomene wir sehen und nutzen, um uns in der Welt zu orientieren entwickelt sich. Die bei Kindern offensichtliche Entwicklung endet nicht plötzlich, auch als Erwachsene können wir uns weiter entwickeln. Dabei gibt es sowohl die vertikale Entwicklung, also das Wachsen auf eine spätere Bewusstheit. Da dies ein ziemlich umfangreiches und nicht ganz einfaches Thema ist, habe ich dazu einige Artikel geschrieben, die ich am Ende verlinke. Das nennt sich in der integralen Theorie übrigens häufig "grow-up", also das aufwachsen von Perspektiven und der Ausbau der Fähigkeiten zum Umgang mit mehr Komplexität.
Ein weitere Aspekt ist die sogenannte Zustandsschulung. Also welche Bewusstseinszustände können wir erreichen, willentlich herstellen oder sogar stabilisieren. Dabei kann es um Konzentrations-, Flow- und Wahrnehmungszustände gehen, aber auch um manchmal als "spirituell" bezeichnete Zustände von erweitertem Gewahrsein und einer anderen Art und Weise auf die Welt zu schauen. Dazu begleite ich sowohl mit Konzentrations-, Meditations-, Kontemplations- und Körperübungen. Der Begriff "wake-up" wird dazu im integralen Sprach häufig verwendet.
Im Laufe unsere Entwicklung lernen wir durch die Interaktion mit dem Umfeld. Manches was wir gelernt und verinnerlicht haben war vielleicht damals ein guter Lösungsansatz, ist aber auf Grund unserer im Leben weiter gewachsenen Fähigkeiten einfach nicht mehr passend und damit zu einem Schatten geworden. Es gibt viele Denk-, Fühl- und Verhaltensmuster, die wir in der Kindheit gelernt und stabilisiert haben, die hilfreich sind. Sonst wären wir gar nicht in der Lage, uns in der Gesellschaft zu bewegen. Aber wir haben auch einiges verinnerlicht und gelernt, was heute einfach nicht mehr passend ist und verlernt werden darf. Dann haben wir einige Lernerfahrungen vielleicht gar nicht gemacht, dann gilt es die Fähigkeit des Gehirns zum lebenslangen lernen zu nutzen, um an solchen Stellen nachzureifen. Ich finde den Begriff des Integralen da sehr schön, der lautet nämlich "clean-up".
Grow-up, Wake-up, Clean-up münden zusammen letztendlich in einem Show-up. Das ist durchaus ein einfaches und erst einmal hilfreiches Denkmodell. Und wird doch der Komplexität nicht gerecht.
Und damit gibt es zwei Möglichkeiten. Wenn Du an theoretischem Rahmen und dem von mir entwickelten Framework für Entwicklungsbegleitung interessiert bist, habe ich das in einem ersten Artikel mal grob dargestellt: Mein Framework für die Entwicklungsbegleitung von Individuen.
Wenn Du nach dem Artikel Interesse an einer Vertiefung des Frameworks hast oder vielleicht sogar an der Professionalisierung von Entwicklungsbegleitung, sprich mich dazu an. Die Wege sind vielfältig und abhängig davon, was Du auf Deinem Weg schon gemacht hast.
Die andere Möglichkeit im Umgang mit der Komplexität ist, wir steigen in die lebendige Arbeit ein. Denn dann entfaltet sich zwischen uns nicht irgendein Meta-Abstrakt-Framework-Gedöns, sondern lebendiges Arbeiten an und mit Deinen Themen, das Gehen Deines Entwicklungspfades.